12.11.2014
Das schreibt die Rhein-Zeitung:
Nachfahren aus Übersee reisten zur Verlegung in Ahrweiler an
Von unserer Redakteurin Beate Au
M Kreisstadt. Es war am Mittwoch ein bewegender Moment für die Schwestern Audrey Brom aus Südafrika und Sandra Verblun aus Australien, vor dem Haus der Vorfahren in der Ahrweiler Plätzerstraße 40 zu stehen und mitzuerleben, wie sechs Stolpersteine für ihre im Vernichtungslager Treblinka ermordeten Großeltern Isidor und Bertha Levy sowie die Geschwister ihres Vaters verlegt werden. Ein Platz an der Haustür war an diesem besonderen Tag für Bilder der einstigen Bewohner reserviert, die hier einst einen Viehhandel mit Metzgerei betrieben. Die Levy-Schwestern ließen sich mit ihrem Anhang davor fotografieren. Erinnerungen für ein Familienalbum, das viele Lücken hat. Audrey Brom stellte traurig fest: „Nur zwei Cousinen sind geblieben von der einst großen Familie.“
Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit und vieler Schüler aus der Grundschule Ahrweiler, der Berufsbildenden Schule und des Gymnasiums Calvarienberg, die an den vier Stationen die Inschriften vorlasen, verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig gestern 20 der insgesamt 30 für Ahrweiler vorgesehenen Stolpersteine. Zum dritten Mal war er nun in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Der Beigeordnete Hans-Jürgen Juchem erinnerte in Vertretung von Bürgermeister Guido Orthen daran, dass bereits 2012 und 2013 in Bad Neuenahr und Heimersheim 42 Steine in die Heimaterde von einstigen Mitbürgern eingelassen wurden, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Dass ihre Namen wieder in der Stadt präsent sind, ist für Landrat Jürgen Pföhler ein Gebot von Respekt und Würde. Mit Blick auf wichtige Gedenktage im November und als warnende Botschaft für die ewig Gestrigen, die aus der Geschichte nichts gelernt haben, meinte Pföhler: „Wir werden dieses Land nie mehr denen überlassen, die unsere Freiheit und unsere Werte vernichten wollen.“
Mehr als 50 000 Steine in 18 Ländern hat Demnig inzwischen gegen das Vergessen eingepflastert. „Es ist keine Routine geworden. Die Situation ist immer wieder neu“, erzählte Demnig und machte bewusst: „Wenn diese Menschen hier in Ahrweiler geblieben wären, könnten ihre Enkel jetzt mit unseren zur Schule gehen.“ Stattdessen sind die Nachfahren, sofern sie überlebt haben, über die ganze Welt verteilt. Die Söhne Paul und Walter der Familie Levy aus der Plätzerstraße 40 hatten Glück. Ihnen gelang die Flucht nach Südafrika. Walter ließ sich in Johannesburg nieder, Paul fand eine neue Heimat in Kapstadt. Und nun standen die Töchter von Walter Levy in der Ahrweiler Plätzerstraße bei der Stolpersteinverlegung einer Nachbarin gegenüber, deren Mutter früher mit Tante Betti, 1942 ermordet in Krasniczyn, gespielt hat.
Ebenfalls in der Plätzerstraße, Hausnummer 43, wohnte bis Ende April 1943 die Witwe Helene Gärtner, die gemeinsam mit ihrer 1920 geborenen Tochter Gertrud eine Metzgerei betrieb, die während der Progromnacht im November 1938 geplündert wurde. Obwohl das Geschäft einige Monate später auf Anordnung der Ortspolizeibehörde schließen musste, belieferten Mutter und Tochter weiterhin jüdische Einrichtungen. Sie wurden Ende April 1942 über Koblenz in das Ghetto Krasniczyn deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Sie wurden für tot erklärt.
Eine weitere Station war die Oberhutstraße 31. Hier lebte gemeinsam mit Frau Recha und Tochter Ruth Wilhelm Levy, Viehhändler und Synagogenvorsteher, 1883 in Ahrweiler geboren. Ruth besuchte noch bis 1937 die Mädchenschule auf dem Calvarienberg und flüchtete gegen den Willen ihrer Eltern heimlich aus Deutschland. Es gelang ihr, über Holland nach Israel auszuwandern, wo sie später heiratete und eine Familie gründete. Die Eltern wurden 1941 angewiesen, ihr Haus zu verlassen und zu Wilhelms Bruder Isidor in die Plätzerstraße umzuziehen, um einer wohnungslosen „arischen“ Familie Platz zu machen. Auch sie starben im Vernichtungslager Treblinka. Letzte Adresse der gestrigen Stolpersteinverlegung: Kanonenwall 46. Die hier eingemauerten zehn Gedenksteine sind der Familie Gottschalk gewidmet, die von 1909 an hier einen Altwarenhandel betrieb. Das Ehepaar Regina und Alexander Gottschalk hatte fünf Kinder. Während der älteste Sohn Max bereits zu Beginn der 1930er-Jahre in die USA ausgewandert war, blieben die Eltern und die Geschwister mit ihren Familien in Deutschland. Nur drei Familienmitglieder überlebten den Holocaust.
RZ Bad Neuenahr-Ahrw. vom Donnerstag, 13. November 2014, Seite 13